2012 verbrachte ich mehrere Monate in Indien und beendete die Reise im märchenhaften Jaisalmer in der Thar Wüste in der Nähe der Grenze zu Pakistan. Ich hatte immer schon eine Vorliebe für die traditionelle Musik aus aller Welt. Mit drei Jahren hörte ich schon voll Begeisterung fremde Musiksendungen in meiner deutschen Heimat. Während meines späteren langjährigen Aufenthalts in Durham/Großbritannien besuchte ich alle Konzerte des orientalischen Musikfestivals und ich schwelge heute noch in den Erinnerungen daran. Als ich dann begann Reiseangebote in Südamerika zu entwerfen hatte ich stets auch für ein reichhaltiges Musikprogramm gesorgt.
Damals ging ich in Jaisalmer in ein gehobenes Restaurant in der Hoffnung dort die ersehnte Live Musik zu erleben. Ich fand tatsächlich die gewünschte Musik, war allerdings entsetzt zu sehen wie schlecht die Musiker behandelt wurden und beschwerte mich beim Management darüber. Im Anschluss folgte ich den Musikern zum nächsten Auftritt und beim Abschied drückten sie mir einen Zettel mit ihrer Mobiltelefonnummer in die Hand und baten mich im gebrochenem Englisch am folgenden Tag um 4 Uhr nachmittags zur Kalakar Kolonie zu kommen und sie dann anzurufen.
Als ich dann am nächsten Tag dort eintraf kam der Teenager Salim Khan um mich zu treffen und führte mich in eine ein-räumige Lehmbehausung am Rande der Kolonie gelegen. Plötzlich fand ich mich inmitten einer Gruppe von Männern und Jungens wieder. Sie boten mir ‘Chai’ an, packten ihre Instrumente aus und begannen ihre ansteckende Musik mit solcher Freude und Hingabe zu spielen, dass ich ganz hingerissen war. Sie spielten das Harmonium mit Dholak (eine Art Trommel) Khartals (eine Art von Kastanhetten aus dem Holz des Mangobaums gefertigt) und sangen dazu – Rajasthani Volkslieder und ich erkannte ebenso einige Zigeunerweisen. Dann begann Salim Qawwalis (hingebungsvolle Sufi Lieder), die mir von meiner Nusrat Fateh Ali Khan Musiksammlung bekannt waren, zu spielen. Ich starrte fasziniert auf Salims Hände, die auf der Tastatur des Harmoniums tanzten und mir wurde klar, dass ich ein einzigartiges Musiktalent vor mir hatte, ein wahres Genie!
Drei Jahre später sah ich meinen jungen Freund wieder. Er war zu einem jungen Mann herangewachsen und hatte bereits eine eigene Familie. Er lud mich in sein Haus ein, wo ich seine Eltern und Geschwister kennenlernte. Ich konnte das musikalische Talent der gesamten Familie beobachten und es war mir eine Ehre der Musik von Salim und seinem Bruder Khete zuhören zu dürfen. Ebenso faszinierte es mich dem Gesangsunterricht der kinder zu lauschen. Ein Highlight war es auch für mich als ihr Vater Hamir Khan liebevoll ein Lied für seine Enkelkinder anstimmte.
Dieses Jahr traf ich Salim im Bunkyard Hostel in Pushkar wieder, wo er wunderbare Konzerte von Qawwalis (hingebungsvoller Sufi Musik) zusammen mit Kutle Khan und Didar Khan, seinen begabten Freunden aus Jaisalmer gab. Ich verbrachte eine großartige Zeit mit ihnen – wir machten Ausflüge in die Wüste und hatten viel Spaß zusammen. Natürlich hörte ich auch täglich ihre wundervolle Musik.
In Jaisalmer begleitete mich Salim nach Devikot, einem Ort etwa 30 km von Jaisalmer entfernt, wo wir seinen Vetter Berbal Khan, den Dholakspieler von Rajasthan Josh besuchten. Es war ein unvergesslicher Nachmittag voller bezaubernderer Musik der gesamten Familie inklusive der Kinder.
Salim und seine Familie gehören der Kaste der Manganiyar, erblichen moslemischen Musikern, an. Einst waren die Manganiyars die Barden der Rajput Könige (Salims Familie besteht seit mindestens 17 Generationen aus Berufsmusikern – die Musik ist in ihrem Blut!). Manche der Lieder, die sie spielen sind so uralt, dass sie sich an die Invasion Nordwestindiens von Alexander dem Großen erinnern. Die Manganiyar werden weiterhin bei Hochzeiten, Geburten, Tempelpujas und anderen Festlichkeiten von ihren Hindu Gönnern kontrahiert.
Trotz Gandhis Bemühungen das Kastensystem abzuschaffen, existiert es leider weiterhin in Indien. Die Manganiyar werden von der Hindu Gesellschaft die sie umgibt, als eine der unteren Kasten eingestuft. Schlimmer noch: als Moslems werden sie wie ‘Kastenlose’ behandelt. Der brutale Mord an einem Manganiyar Musiker, weil er angeblich ‘nicht gut genug spielte’, sorgte für eine empörte Protestwelle in der Gemeinschaft und führte zu der Migration von einem ganzen Ort nach Jaisalmer, um dort Schutz vor weiteren Angriffen zu erhalten.
Nicht alle Mitglieder der Manganiyar Kaste sind so privilegiert wie Salim und seine Familie, die immerhin als hochbegabte Künstler anerkannt sind und viele Länder der Welt mit ihren Auftritten besucht haben.
Salims älterer Bruder Chugge wohnte als kleiner Junge einem Konzert von Nusrat Fateh Ali Khan bei und damit begann seine Suche nach Qawwalis und Sufi Musik, eine Leidenschaft, die er mit Salim und Khete teilt. Chugge spielte jahrelang mit Musafir zusammen, einer Gruppe aus Rajasthan, die für ihre Zigeunermusik bekannt wurde, ehe er seine eigene Gruppe ‘Rajasthan Josh’, ein Kollektiv von Manganiyar Musikern mit Mitgliedern seiner Familie und Nachbarschaft gründete. Er beherrscht ein außergewöhnlich großes Repertoir von verschiedenen Musikrichtungen, die alle in Rajasthan zu finden sind.
Chugge ist nicht nur ein Spitzenmusiker und Sänger, sondern auch ein Komponist und er ist bekannt für sein großartiges Charisma, mit dem er sein Publikum in Konzerten und Festivals in aller Welt betört und erobert hat. Seine jüngeren Brüder Khete und Salim, die oft mit ihm gemeinsam auftreten, sind ebenfalls hochbegabte Künstler. Khete dirigiert und unterrichtet die Kindergruppe ‘Jaisalmer Boys’, während Salim der Direktor von ‘Jaisalmer Beats’ ist.
Ich hatte das Glück und die große Ehre den wunderbaren Konzerten der Khan Brüder und ihrer Familie sowie ihrer Freunde in Pushkar, Jaisalmer und Delhi auf meiner letzten Rajasthanreise beizuwohnen. Auch war ich bei vielen informellen Musikproben dabei. Ihre wundervolle und bewegende Musik, ihre ansteckende Lebensfreude und ihre Warmherzigkeit machte einen tiefen Eindruck auf mich. Ebenso bewegten mich die großzügigen Freundschaften meiner alten und neuen Freunde der Manganiyar Gemeinschaft und ich genoss die Momente, die ich mit ihnen im Gespräch, auf Ausflügen und bei gemeinsamen Mahlzeiten verbrachte. Musik und Gelächter waren immer mit dabei.
Für Auftritte und Musikunterricht können Chugge Khan und seine Familie über folgende Adresse kontaktiert werden: chuggekhan@gmail.com
Unsere neue gemeinschaftsbezogende Rajasthangruppenreise wird auch etwas Zeit mit meinen wunderbaren Freunden der Manganiyar Kolonie in Jaisalmer verbringen:
So ein toller Artikel! Danke! Ich durfte die Jungs in Pushkar kennenlernen, während ich im Bunkyard geholfen habe. Wir sind zusammen rumgefahren und haben ihre Musik promoted 🙂
Wirklich wundervolle, herzliche Seelen und große Talente.